Politikeinblicke
Politikeinblicke
Quantenphilosophie und Brillenfarben bei der Betrachtung der Welt
Wir haben darauf zu vertrauen, dass jeder einzigartig ist und alle verschieden. Das muss zur vollen Blüte gebracht und in Kooperation mit anderen zusammengeführt werden, damit etwas entsteht, was höchste Flexibilität besitzt. Flexibilität ist das Rezept der Natur zur besten Anpassung von höher entwickelten Wesen an zukünftige Anforderungen. Sie sind nicht optimiert auf ganz bestimmte Situationen, sondern sie sind optimiert auf etwas, was prinzipiell unbekannt ist, eben auf eine Zukunft hin, die wesentlich offen ist.” (Denkmethode für die Rubrik Politikeinblicke – Kommentare unten oder auch gern auf Telegram unter t.me/energy_design )
(Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg, Träger des Alternativen Nobelpreises)
Politische Einmischung
Die aktuelle, von zunehmender Konfrontation geprägte Situation auf unserem gemeinsamen Planeten stellt so manche Gewissheit auf dem Prüfstand. Grundsätzlich widmet sich der Blog energieorganismus.de unter dem Titel „Energiezellen – Dokumentation der Energiewende“ den Herausforderungen und Chancen beim Umbau des weltweiten Energiesystems. Mit diesem Artikel wird zusätzlich die neue Rubrik „Politikeinblicke“ eingeführt, da der komplexe Veränderungsprozess im lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Kontext sowie mit seinen Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Themen ohne Politik nicht zu verstehen ist.
Als Herausgeber des Blogs widme ich mich dem Thema Energie und Digitalisierung nicht nur als Autor, sondern wirke als Projektmanager und Berater an der Gestaltung von Energietechnologie, Energiepolitik und Energieökonomie mit regionalen und lokalen Chancen der Landschafts- und Gebäudeentwicklung unter Einbeziehung des globalen Rahmens. Diese komplexe Aufgabenstellung führt zwangsläufig zur politischen Einmischung. Viele mögliche Wege führen zum Ziel, ein nachhaltiges Energiesystem ohne für das Klima schädliche Emissionen und ohne Raubbau an den Ressourcen der Erde aufzubauen. Die Länder der Welt haben sich auf ein gemeinsames Ziel geeinigt. Aber Richtung und Geschwindigkeit sind dazu unterschiedlich. Auch in Europa beschreiten die Mitgliedsländer unterschiedliche Wege, zu deren Erwähnung hier der Raum fehlt. Ebenso haben Menschen, Organisationen und Parteien in Deutschland – aber auch Bund, Länder und Kommunen – unterschiedliche Szenarien vor Augen.
Ohne über Energiepolitik zu sprechen, wird also ein Blog zum Energiesystem nicht vollständig sein. Dies umfasst, wie schon erwähnt, die Betrachtung internationaler Verflechtungen und Wege der Energiepolitik und der zugehörigen wirtschaftlichen Zusammenhänge. Multipolare Beziehungen zwischen Ländern und Regionen der Welt, unterschiedliche politische Hintergründe und Kulturen sowie Verschiedenheit der Umweltbedingungen und vorhandener Ressourcen erfordern Kommunikationsfähigkeiten, Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit zur Betrachtung anderer Denkschulen, die nicht in die eigene Weltsicht passen. Dabei heißt das Einlassen auf andere Wege nicht, die eigenen Denkkonzepte aufzugeben. Allein die Bereitschaft zum Austausch kann dazu führen, dass Lösungsräume wachsen. Aus der Sicht des Autors heißt der Zauberspruch analog zum Schlagwort des Blogs „Energiezellen“ wiederum „Verbinde autonome Zellen zum lebenden Organismus“. Um hierzu ein Verständnis zu entwickeln, benötigen wir einen kleinen Umweg.
Zelluläre Konzepte
Irgendwann im Verlaufe der Evolution kam es bei der Entwicklung der Zellen zur Ernährungskrise. Hatten die Zellen eine bestimmte Größe überschritten, vermochten sie nämlich nicht mehr so viel Nahrung aufzunehmen, wie sie brauchten. Das Individuum Zelle musste die Grenzen seines persönlichen Wachstums kennenlernen.
Die Evolution reagierte darauf, indem einzelne Zellen nicht mehr größer wurden, sich dafür aber zu größeren Systemen zusammenschlossen. So begannen sich Zellklumpen zu bilden, aus denen die ersten vielzelligen Organismen entstanden; einfache Schwämme und später auch Quallen. Innerhalb dieser Gemeinschaften zeigte sich, dass sich mehr erreichen ließ, wenn Zellen zusammenwirkten. Dies bedeutet aber nicht die Aufgabe eigener Individualität. Jede Zelle ist ein lebensfähiges System mit eigenem Stoffkreislauf sowie eigener Energiegewinnung, Speicherung und Energienutzung. Die Bereitschaft, trotz Autonomie und unterschiedlicher Funktion zusammenzuarbeiten, führte zur Evolution des menschlichen Gehirns. Ein paar Milliarden Gehirnzellen, die Neuronen, für sich selbst genommen einfachste lebende Systeme, ohne die Fähigkeit des selbstreflexiven Bewusstseins, entwickeln in ihrer Gesamtheit die Fähigkeit der Informationsverarbeitung und Speicherung.
Die Ursache dieser qualitativ neuen Stufe der Evolution besteht nicht nur in der bloßen Ansammlung von vielen Zellen, sondern in einer progressiven Zunahme an Komplexität. Das Wort “komplex” bedeutet nicht einfach “vielteilig”, sondern umfasst auch, dass die vielen Teile eines Systems selbständig sind, zueinander in Wechselwirkung stehen und voneinander abhängig sind. Weiterhin schließen Zellen als Bestandteile eines größeren Systems teilweise Informationen und Funktionen autonom innerhalb der eigenen Grenzen ohne Kommunikation in die Außenwelt ein. Ein zelluläres System ist also sowohl durch Autonomie als auch durch Verbundenheit gekennzeichnet.
Komplexität besitzt folgende Grundmerkmale:
- Vielfalt: Das System enthält eine große Anzahl von Komponenten meist verschiedener Art.
- Organisiertheit: Die vielen Komponenten sind zu diversen in Interaktion stehenden Strukturen organisiert.
- Verbundenheit: Die Komponenten sind durch physische Glieder, Energieaustausch oder irgendeine Form von Kommunikation miteinander verbunden.
Die daraus erwachsende Komplexität erzeugt neue Eigenschaften und Fähigkeiten, die die einzelne Zelle nicht besitzt. Dabei nutzen die Zellen Unterschiede der individuellen Einheiten, also Differenzen, als gestalterischen Aspekt des Zusammenwirkens. Insofern besitzt ein zelluläres System als Organismus die Fähigkeit, trotz Beibehaltung von Verschiedenheit und Autonomie im Sinne des gemeinsamen Vorteiles zusammenzuwirken. Zelluläre Strukturen lassen sich sowohl auf die Gesellschaft bei politischen Betrachtungen als auch auf Aspekte der Gesellschaft, wie zum Beispiel das Energiesystem in Form eines zellulären Energiesystems, anwenden.
Zelluläres Denken im gesellschaftlichen Kontext
Die Geschichte kennt verschiedene Wege zur Lenkung gesellschaftlicher Prozesse, wobei alle Formen zwischen zwei Denkextremen schwanken. Stellen wir uns entlang dieses Weges eine Brücke vor, deren Ränder für die beiden Extreme stehen. Eine Gesellschaft, die ihren Weg am Rand sucht, ist vom Absturz bedroht. Sichere Wege führen entlang der Brückenmitte. Die Ränder der Brücke lassen sich folgendermaßen charakterisieren.
1) Der Mensch strebt als Individuum nach Freiheit. Erfolgreich wurde er aber als soziales Wesen, das zunehmend komplexere Gesellschaften bildete. Bei vorrangiger Ausrichtung auf die Interessen des Individuums folgte oft das Recht des Stärkeren. Im Sinne der zellulären Metapher wirken die Zellen hierbei primär bezogen auf das eigene Wachstum ohne Berücksichtigung der Interessen anderer Zellen. Wir kennen diese Krankheit unter dem Begriff Krebs.
2) Der gegenüberliegende Rand des Lösungsweges wird von Interessen bestimmt, Macht über die Summe aller Individuen der Gemeinschaft auszuüben. Absolutistische Machtinteressen streben zum Aufbau einer starren Pyramide der gesellschaftlichen Ordnung mit Unterordnung, Obrigkeitsdenken sowie einem allmächtigen Staat. Derartige Systeme brechen irgendwann an der eigenen Starrheit zusammen, da ihnen die Flexibilität vielfältiger, beweglicher Systeme fehlt.
Die Natur meidet die Ränder dieses Weges. Letztendlich ist das gesamte Universum fraktal in unterschiedlichen Organisationsebenen als Netzwerk von ähnlich gebauten Einheiten strukturiert. Die jeweiligen Elemente wirken einerseits autonom als Teilchen, aber auch als Verbund. Unterschiede und gemeinsame Interessen werden auf Basis eines hohen Grad an Flexibilität vereinigt.
Übersetzt auf gesellschaftliche Zusammenhänge bedeutet dies, dass in der Welt der Gegensätze, der Blöcke, der Konfrontation und der radikalen Vertretung eigener Interessen dem Grenzen überschreitenden, gesellschaftlichen Organismus auf der Erde die Krankheit Krebs droht. Eine gesunde Welt hält Multipolarität sowie Verschiedenheit der Kulturen und der Staatsformen aus. In der Verschiedenheit kann die Menschheit als zellulärer Organismus gemeinsam lernen und wachsen. Dies erfordert Respekt vor anderen Weltsichten und Toleranz. Dazu müssen wir uns der Diskussionskultur widmen.
Diskussionskultur in einer zellulären Welt
Ein Artikel im beruflichen Netzwerk LinkedIn hinterließ mich sehr nachdenklich. Er schilderte eine Diskussionsmethode, die selbstverständlich sein sollte, aber aktuell in der Kommunikationskultur sozialer Netzwerke mit zunehmenden Angriffen und Beleidigungen aus der Mode zu kommen scheint.
Der Begriff „Framing“ steht für individuellen Sichten auf die Welt. Die individuelle Sicht auf die Welt ist grundsätzlich nicht negativ. Man sollte sich nur bewusst sein, dass jeder Mensch die Welt durch seine eigene „rosarote Brille“ betrachtet. Um die Welt umfassender als über das eigene Framing wahrzunehmen, ist jedem Menschen zu empfehlen, ab und zu die „blaue Brille“ aufzusetzen.
Ohne eine bestimmte linke oder rechte Position einzunehmen, ist es doch verwunderlich, wenn Hans-Georg Maassen Kritik aus den eigenen Reihen der CDU und sogar von Journalisten erhält, die nicht verstehen, dass ein Konservativer und ein Linker einmal einer Ansicht sein können. Dabei fragt man sich schon, wieso Journalisten Weltsichten oder den Austausch unterschiedlicher Weltsichten kritisieren. Sollte die Aufgabe von Journalisten nicht eher darin bestehen, über verschiedene Sichten oder unterschiedliche Interpretationen von Ereignissen zu berichten.
Was war geschehen? Oskar Lafontaine veröffentlichte in der schweizerischen Zeitung „Weltwoche“ einen Beitrag mit dem Titel „Amerika treibt Europa in einen Atomkrieg“. Hans-Georg Maassen teilte diesen Beitrag auf Twitter. Ist dies ungeheuerlich? Ungeheuerlich ist doch etwas Anderes. Der Krieg in der Ukraine erschüttert Europa. Dies stellt bisherige Weltsichten auf den Prüfstand. Deshalb sollte es der Normalzustand sein, bisheriges Wissen und Ideologien zu hinterfragen, Ursachen des Krieges zu erkunden – auch mögliche Hintergründe im Westen und in der Ukraine – sowie dabei aus dem eigenen System herauszutreten.
Diese Methode mag auf der Metaebene ebenso eine gewisse Weltsicht sein. Doch gerade diese Methode führte in der Physik mit dem Entstehen der Quantenphysik vor 100 Jahren zum Erfolg von Technologien und einer erweiterten Weltsicht. Als Physiker ist man von einer relativen Welt überzeugt, die sich durch Schwingungen in Bewegung und ständiger Veränderung befindet, ohne starre Zusammenhänge. Laut Quantenphysik beeinflusst der Beobachter das Beobachtete mit seiner Intention. Deshalb schaffen wir alle eine Art eigene Welt. Diese eigenen Welten scheinen zunehmend aufeinander zu prallen. Aus meiner Sicht wäre die Welt besser, wenn alle Menschen auf Basis der Quantenphilosophie ihr Wissen und ihre Überzeugungen reflektieren könnten. In der Praxis erfordert dies eine ständige Selbstbeobachtung, denn jeder Mensch unterliegt einem Framing, weil es die absolute Wahrheit in der Physik nicht gibt. Man kann sich davon lösen, indem der Beobachter seine Intention in Frage stellt, bereit ist, diese zu ändern und plötzlich gibt es andere Weltsichten. Das Verstehen verschiedener Weltsichten kann hilfreich sein, auf andere Menschen zuzugehen. Starre Ideologien helfen dabei nicht weiter.
Perspektivwechsel und Differenzen als Chancen
Dieses Zugehen auf andere Menschen wird in der aktuellen Zeit erschwert, wenn das Darstellen unterschiedlicher Weltsichten plötzlich in Angriffen und Beleidigungen endet. Dann wird schnell der eigene gute Willen gestört und man unterliegt der Gefahr, aggressiv zu antworten. Aber letztendlich müssen wir es alle schaffen, die Aggressivität nicht zuzulassen, da ansonsten die Spaltung der Gesellschaft droht, wie es aktuell beispielsweise in den USA zu erkennen ist. Ein Perspektivwechsel von Zeit zu Zeit zwischen rosaroter und blauer Brille oder auch anderen Farben kann sehr hilfreich sein, die Welt zu befrieden und dabei gemeinsam, den Erfolg Aller mehrend, zusammenzuarbeiten.
Differenzen, also Unterschiede, sind Ursache von Energie und somit auch Antriebskraft gesellschaftlicher Entwicklung. Dies erfordert aber auch Kommunikation und somit das Gespräch über vorhandene Differenzen. Dies ist wiederum Grundlage für den kulturellen Austausch zwischen Gesellschaften. Der in der aktuellen Diskussion eher negativ besetzte Begriff der kulturellen Aneignung kann somit als Chance zur Erweiterung der Weltsicht und zur gemeinsamen Entwicklung betrachtet werden. Ohne Differenzen würde die menschliche Gesellschaft erstarren. Das politische Projekt sollte also darin bestehen, Differenzen zu betonen und gleichzeitig Verbundenheit zu schaffen, statt Differenzen durch eine weltweite gesellschaftliche und kulturelle Einheit abzuschaffen.
Für mein eigenes Handeln habe ich beschlossen, regelmäßig die Brille zu wechseln und Diskussionen aus verschiedenen Sichten und Intentionen zu führen. Gesammelt werden diese Aktivitäten in der neuen Rubrik „Politikeinblicke“ meines Blogs. Wenn damit gelegentlich die Weltsichten auch von Akteuren kollidieren, mit denen ich ansonsten harmonisch, auch mit gemeinsamen Sichten auf Teile des Ganzen, zusammenwirke oder agiere, bitte ich um Nachsicht. Eventuell ist dann der eigene Brillenwechsel bezüglich der Erweiterung von Erfahrungen manchmal spannender als das fundamentale oder aggressive Verteidigen von längst bekannten Weltsichten. Hervorgehobene Farben bei der Betrachtung der Welt stellen nicht unbedingt meine bisherigen Überzeugungen dar. Auch mir geht es um die Erweiterung von Erfahrungen und Wissen. Um deshalb Kritiker davor zu bewahren, zu schnell in abweisendes und aggressives Fahrwasser zu gelangen, verweise ich mit einem Link regelmäßig auf die beschriebene Metaebene und Methode bei der Betrachtung der Welt. Das bewahrt wiederum vor ständiger Wiederholung meiner Intention bei der Veröffentlichung von Artikeln.
Leimen / Heidelberg – 14. September 2022
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